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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Die Geschichte des Maserati aus dem Müll



CarloBianco
09.09.2013, 22:45
Die drei wohl bekanntesten Karosserieschmieden Italiens haben im Laufe der Zeit ein eigenes Signet herausgebildet. Etwas plump und vereinfacht ausgedrückt: Pininfarina steht für feminine Eleganz, Bertone für futuristische Avantgarde und Zagato für exzentrische Aggressivität.

Pietro Frua dagegen hat sich - ähnlich wie sein Freund und Ziehsohn Giovanni Michelotti - nie auf einen Stil festlegen lassen. Und vielleicht liegt auch darin ein Grund, dass er zu den etwas weniger gefeierten Automobilgestaltern seiner Zeit zählt. Doch der als sehr bescheiden geltende Frua war ein Multitalent, der nicht nur über 200 Autos zeichnete, sondern auch Küchen, Motorrollern und elektrischen Öfen zu einem ansprechenden Äußeren verhalf. Zu seinen vielseitigen automobilen Werken zählen Fahrzeuge von Alfa Romeo, Lamborghini und Lancia, Rolls Royce, Jaguar und MG, Peugeot, Renault und Volvo sowie Borgward, Glas und VW - um nur einige zu nennen. Aber zu seinen bekanntesten und besten Arbeiten zählen jene für Maserati.

Nachdem die Maserati-Brüder ihre Firma 1937 an den Industriellen Adolfo Orsi veräußert hatten, entschied sich dieser 1947 erstmals einen Serienwagen herauszubringen, der sich auch für die Verwendung auf öffentlichen Straßen eignen sollte. Das Ergebnis war der A6 - zugleich das letzte Auto mit dem Dreizack, das noch aus der Feder der bis dahin vertraglich gebundenen Maserati-Brüder stammt. Die höchste Evolutionsstufe dieser Baureihe bildet der A6GCS (Alfieri Maserati 6 Cilindri Ghisa Corsa Sport) mit kürzerem Radstand, Trockensumpfschmierung und einem Motorblock aus Grauguss (Ghisa). Den heilige Gral stellen hier - neben den vier Pinifarina-Coupés - die drei gebauten Spyder mit Frua-Karosserie dar. Und die bewegte Geschichte des ersten Exemplars (und dem einzigem mit waschechtem GCS-Rennmotor) ist erst nach und nach in vollem Umfang ans Licht gekommen:

Der A6GCS 2000 Frua Grand Sport Spyder mit der Chassisnummer 2054 wurde 1953 durch den römischen Maserati-Händler Guglielmo Dei in die USA verkauft. Glück brachte das Auto dem Texaner Bobby Burns jedoch keins. Nach nur wenigen Monaten und einigen Teilnahmen an kleineren Club-Rennen wurde seine Garage von einem Tornado heimgesucht und der Wagen stark beschädigt. Kurzerhand ließ er sich von seinem Mechaniker einen einfachen Barchetta-Aufbau dengeln, um damit gleich wieder ins Geschehen eingreifen zu können. Doch nach nur wenigen weiteren Rennen verschwand dieser Eigenbau mitsamt Chassis und Motor spurlos - bis heute. Die zerbeulte Karosserie inklusive Verdeck sowie Interieur dagegen tauchte 1957 in einer Anzeige des US-Magazins Road and Track für 500 $ wieder auf und wurde auch sogleich verkauft. Der neue Eigner - eben in Ermangelung von Chassis und Motor - montierte das Ganze auf einen modifizierten Triumph TR3 und hatte zumindest einige Jahre Freude an den eleganten Linien.

Doch Anfang der 60er Jahre verschwand auch dieser Mischling spurlos. Nahezu ein Viertel Jahrhundert später klingelt Mitte der 80er Jahre bei US-Maserati-Händler und Concorso-Italiano-Gründer Francis Mandarano das Telefon. Ein windiger Typ aus Las Vegas meldet sich mit den Worten "I think I found a Maserati in the garbage". Dieser hatte nämlich - ungesehen - den Inhalt eines Containers ersteigert, der nie abgeholt wurde, da der ursprüngliche Besitzer die Lager-Gebühren nicht bezahlen konnte. Neben einigem unbedeutenden Geraffel befand sich darin ein kleiner Sportwagen, von dem er wissen wolle, was er wohl wert sei. Mandarano bat darum, ihm ein paar Fotos zukommen zu lassen. Als er ein paar Tage später den Briefumschlag öffnete, traute er seinen Augen nicht. Dies war zweifellos der seit langem vermisste und von Maserati-Enthusiasten in aller Welt gesuchte erste Frua Spyder - deutlich erkennbar an den senkrechten Bumperette-Stoßstangen sowie dem seitlichen Auspuff. Zwei Accessoires, die Frua einzig Chassis 2054 spendiert hatte. Mandarano setzte sich sofort ins Auto, holte ein paar Dollar-Noten von der Bank und raste nach Las Vegas, damit ihm ja niemand zuvor käme.

Wieder zuhause angekommen musste er nach wenigen Wochen allerdings feststellen, dass ihn die Restaurierung überfordern würde und verkaufte den Fund für 26.500 $ an den amerikanischen Sammler und mehrfachen Pebble-Beach-Gewinner Sam Mann. Aber auch dieser blieb bei der Suche nach dem originalen Chassis und Motor erfolglos. Nach ersten Überlegungen diese einfach nachbauen zu lassen, entschied er sich letztendlich dafür, einen von nur 21 gebauten A6 Allemano-Coupés (2190) zu opfern. Das Chassis wurde gekürzt und der 2-Liter Reihensechszylinder mit zwei obenliegenden Nockenwellen restauriert - wenn auch in einer etwas zahmeren Version mit Alu-Motorblock, Nassumpfschmierung sowie 150 anstatt 170 PS. Vor zehn Jahren, genau ein halbes Jahrhundert nach seiner ersten Fertigstellung, erstrahlt er wieder wieder in altem Glanz. Und wurde vor gut drei Wochen in Monterey für 2.53m $ an einen neuen Besitzer weiter gegeben.

Nun bleibt zu hoffen, dass das Auto in den nächsten 60 Jahren einer ruhigeren Zukunft entgegen sieht und die Öffentlichkeit etwas öfter Freude daran finden kann. Eines bleibt in jedem Fall: Die zeitlose, einfache Schönheit dieses Entwurfs. Oder wie es Maestro Pietro selbst einmal ausdrückte: "Mit einem Auto ist es doch wie mit einer Frau. Wenn mann morgens aufwacht, soll man nicht sagen müssen: um Himmels willen, worauf habe ich mich da eingelassen! Nein, jeden Morgen soll man glücklich sein über ein Wiedersehen."

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Photos: RM Auctions (http://www.rmauctions.com/lots/lot.cfm?lot_id=1058958)

Is wohl bissi zu lang geworden,
Carlo

Donluigi
09.09.2013, 23:06
*schmacht* Maserati ist und bleibt meine italienische Lieblingsmarke. Tolle Story, danke für die Gutenachtgeschichte :gut:

Muigaulwurf
09.09.2013, 23:10
Danke dafür, deine Geschichten zu den Autos mag ich immer sehr gern :gut:

Frua find ich auch toll :gut:

hadi
09.09.2013, 23:11
Yep, wunderbares Betthupferl über ein unglaublich schönes Auto - vielen Dank!

Eintracht
09.09.2013, 23:14
Ein Traum von Karosserie.

sevenpoolz
09.09.2013, 23:30
Toll - Danke für die Story

ReneS
09.09.2013, 23:38
Danke Carlo :dr: Du bist echt eine Bereicherung hier. Schön, dass Du Dein Wissen mit uns teilst :verneig:

GG2801
09.09.2013, 23:49
Ein Traum von Karosserie.

+1000

:verneig:

Ingo.L
09.09.2013, 23:51
60 Jahre sieht man dem Design nicht an. Auch in weiteren 60 Jahren werden diese Kurven noch begeistern. Zeitlos schön halt :verneig:

Danke für diesen tollen Bericht :gut:

ehemaliges mitglied
10.09.2013, 06:42
Solche Karosserien können nur Italiener zaubern. Ein Traum.

Leider ist ihnen dieses Gottesgeschenk heutzutage abhanden gekommen.

AndreasS
10.09.2013, 07:11
Sehr interessant, vielen Dank, Carlo. :gut:

Stefan17
10.09.2013, 07:13
Klasse Carlo....vielen DANK :gut:

Donluigi
10.09.2013, 07:21
Solche Karosserien können nur Italiener zaubern. Ein Traum.

Leider ist ihnen dieses Gottesgeschenk heutzutage abhanden gekommen.

Quatsch, itialienische Autos sind auch heute noch die schönsten. Fiat 500, Alfa, Maser, Rari - immer die schönsten ihrer Klasse :gut:

frankw61
10.09.2013, 07:27
Carlo, es ist echt jedesmal eine Freude deine Ausführungen zu lesen.

Vielen Dank!

Was das Auto betrifft: Sensationell schön.

WUM
10.09.2013, 07:36
meine Güte, welch schönheit :verneig:


Gruss



Wum

AndreasL
10.09.2013, 07:59
Danke für die Informationen. In der Villa d'Este habe ich dieses Jahr zwei oder Stück - vielleicht auch diesem - gesehen. Muss mal die Fotos suchen.

TheLupus
10.09.2013, 08:22
Danke! RLX bildet! :gut:

alicia
10.09.2013, 08:28
Vielen Dank :gut:

bkv
10.09.2013, 10:04
Carlo, danke, dass Du deine umfangreichen Kenntnisse hier teilst. Ein sehr interessanter Bericht von einem traumhaften Wagen, den ich bisher nicht kannte. Es bestätigt sich immer wieder: italienische Autos mögen bezüglich Technik und Verarbeitung ein Kapitel für sich sein, aber das Design ist unübertroffen.

CarloBianco
10.09.2013, 10:25
Ich möchte mich bei euch bedanken, für´s reinschauen und den netten Zuspruch: Grazie mille, Signore e Signori :dr:

@ AndreasL: Über die anderen beiden A6GCS Frua Spyder weiß ich, dass sie sich - wie der erste - in den USA befinden. Chassis 2109 wurde 1955 fertiggestellt und hat im selben Jahr den Grand Prix von Monza eröffnet, mit President Giovanni Gronchi auf dem Beifahrersitz. Das Auto war mal rot mit elfenbeinfarbenem Streifen auf der Motohaube und ist heute schwarz mit weißem Streifen. Chassis 2110 von 1956 war mal weiß mit schwarzem Streifen, aber diese Farbkombination ist heute genau umgekehrt und somit nahezu identisch mit der mittleren Schwester. Dieser Wagen wurde bei einem Unfall in den 90ern stark zerstört und hat dann nach dem Wiederaufbau die Villa d´Este 2010 gewonnen. Die beiden späteren Autos haben einen konventionellen Auspuff, waagerechte Bumperettes, einen kleinen Zusatzscheinwerfer neben dem Grill sowie ein etwas anderes Armaturenbrett. Wer dieses Jahr alles in der Villa d´Este aufgetaucht ist, weiß ich nicht. Wenn du bei Gelegenheit Bilder davon hast, wäre das natürlich toll.

Einen schönen Tag,
Carlo

heintzi
10.09.2013, 10:39
Was für ein wunderschönes Auto 8o

Danke Carlo :gut:

Flo74
10.09.2013, 11:19
klasse!

AndreasL
10.09.2013, 13:34
@ Carlo: Fotos suche ich heute abend raus. Habe aber mal geschaut; es waren "nur" diese da:http://www.concorsodeleganzavilladeste.com/en/2013-participants-historic-cars-class-e.php

ROLSL
10.09.2013, 14:06
Toller Bericht! Danke für´s einstellen! Das Auto ist ein Traum!

Waschi.1
10.09.2013, 14:07
was für Kurven 8o ....

sausapia
10.09.2013, 18:15
Hallo Carlo,
Deine Autogeschichten sind der Hammer. Der Maserati ist ein Traum und sollte neu aufgelegt werden...

AndreasL
10.09.2013, 19:41
Für Carlo noch die Bilder vom Comer See und den A6s aus 2013:

http://www.r-l-x.de/forum/attachment.php?attachmentid=35096&d=1378834618

http://www.r-l-x.de/forum/attachment.php?attachmentid=35098&d=1378834618

http://www.r-l-x.de/forum/attachment.php?attachmentid=35097&d=1378834618

http://www.r-l-x.de/forum/attachment.php?attachmentid=35099&d=1378834618

http://www.r-l-x.de/forum/attachment.php?attachmentid=35100&d=1378834618

CarloBianco
10.09.2013, 20:17
Nochmals herzlichsten Dank!

Besonders an Andreas für die Mühe und die wundervollen Fotos.

Der recht frühe A6G Frua Spyder, noch mit dem senkrechten, klassischen Maserati-Grill, hat ebenfalls einen unglaublichen Charme. Davon gab´s wohl fünf mit offener Frua-Karosserie, vom späteren A6G/54 (wie auf dem zweiten Bild) insgesamt zehn. Schön ist hier auch zu sehen wie speziell dieser Entwurf schon den von Touring (Coupé) und Vignale (Spyder) gezeichneten Nachfolger 3500GT vorwegnimmt. Im Grunde sehen wir hier die Urväter aller modernen, zivilen Maserati. Der Zagato Spider ist meines Wissens sogar ein reines Einzelstück. Alle eben als Non Corsa Sport mit längerem Radstand und etwas zahmeren Motoren. Das spannende dabei ist immer, dass hier kein Auto dem anderen gleicht und sich so die Geschichte jedes einzelnen Wagens - mehr oder weniger - genau nachvollziehen lässt...

Einen angenehmen Abend und ein gutes Spiel wünscht,
Carlo

CarloBianco
24.01.2015, 13:21
Sorry, dass ich diesen alten Thread nochmal hochhole. Aber die Parallelen sind vorhanden: Die unverhoffte Wiederentdeckung eines zugemüllten Maserati A6 mit einer Karosserie von Pietro Frua, von der es nur 4 Stück gibt.

Nachdem der Wagen vor wenigen Wochen im vielleicht spektakulärsten Scheunenfund aller Zeiten in Frankreich gefunden wurde, kommt er in Kürze neben den anderen Schätzen der "Collection Baillon" zu einem Schätzpreis von rund 1m € unter den Hammer, genauso wie er gefunden wurde. Bleibt zu hoffen, dass der neue Besitzer ihm wieder zu altem Glanz verhilft - und dabei wo möglich die Spuren der Zeit bewahrt.

http://abload.de/img/7isco1.jpg (http://abload.de/image.php?img=7isco1.jpg)

http://abload.de/img/2vufd4.jpg (http://abload.de/image.php?img=2vufd4.jpg)

http://abload.de/img/9e4u9h.jpg (http://abload.de/image.php?img=9e4u9h.jpg)

http://abload.de/img/4idf48.jpg (http://abload.de/image.php?img=4idf48.jpg)

http://abload.de/img/50oelr.jpg (http://abload.de/image.php?img=50oelr.jpg)

http://abload.de/img/64jduo.jpg (http://abload.de/image.php?img=64jduo.jpg)

Mehr Fotos und Infos gibt´s bei Artcurial (http://www.artcurial.com/en/asp/fullcatalogue.asp?salelot=2651++++++58+&refno=10514400&image=0).

Le Rolexier
24.01.2015, 14:42
Technisch topfit machen und außen wie innen die Patina bewahren...

Ich habe in den 80ern mal einen 51er 444 Buckelvolvo in Östersund (Nordschweden) aus einer Remise heraus gekauft. Der Wagen hatte dort über Jahre trocken gestanden und und war mit einer herrlichen Patina überzogen.

Mein Ehrgeiz den Wagen zu renovieren führte dazu, dass der ganze Reiz des Scheuenfundes für immer verloren war und kein originales Teil mehr wirklich an seinem Platz war.

Im Übrigen der Kofferrauminhalt allein schon.. Dann noch der Tankstutzen im Kofferraum.

Vanessa
24.01.2015, 16:06
Technisch topfit machen und außen wie innen die Patina bewahren...

....

Genau so! Außen vergammelt, innen top- leider wird dieses Auto wohl einen anderen Weg nehmen...

CarloBianco
24.01.2015, 16:49
Ja, so würde ich es wohl auch machen. Die Funktionstüchtigkeit vollends wieder herstellen und den Rest behutsam aufbereiten und so lassen.

Interessant wie sich diesbezüglich die Wahrnehmung in einigen Jahren gewandelt hat. Dennoch bleibt es bei Besitzern solcher Autos wohl ein kontrovers diskutiertes Thema.