Surforbiter
27.09.2019, 12:55
Diese Uhr hab ich nicht wie sonst als Erinnerung für ein abgeschlossenes Projekt gekauft, sondern vorab. Sie soll mich an eine besondere Zeit erinnern: eine Vater-Sohn-Reise, mit zwei mechanischen Leicas im Rucksack. Und wohin es geht, könnt Ihr hier schon mal erahnen. (Disclaimer: die Bilder im folgenden sind iPhone-Shots, weshalb dieser Bericht fotografisch nicht mit Reise-Berichten mithalten kann, es ist eher die Vorstellung eines Uhren-Neuzugangs im natural habitat und deshalb hier eingestellt).
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Und wie ich das bei jeder Nepal-Reise gehalten habe, sind wir am ersten Abend zur großen Stupa nach Boudinath gefahren, zweimal im Uhrzeigersinn unter den wachen Augen entlang gelaufen für Schutz und Glück – und haben dann noch einen chai auf der Dachterrasse getrunken.
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Am nächsten Morgen dann Flug nach Pokhara. Mit Yeti-Airlines. Flughäfen in Nepal bieten einem vielfach Gelegenheit auf die Uhr zu schauen: Unser Hinflug ist anderthalb Stunden verspätet. Der Rückflug über sechs. Für einen 25-Minuten-Hüpfer! Grund ist der Monsun, der sich dieses Jahr, wie auch die Jahre zuvor, nicht Ende August verabschiedet, sondern weit in den September schiebt. Wahrscheinlich auch eine Folge der globalen Erderwärmung. Mit drastischen Folgen für Nepal (dazu später mehr) Und wenn sich von der indischen Ganges-Ebene aus die Wolken in die Bergtäler drängen, dann bricht der ganze Flugverkehr innerhalb Nepals zusammen, denn alle Flughäfen außerhalb Kathmandus sind nur Teerpisten, ohne Beleuchtung, ohne Funkfeuer; sie können nur im Sichtflug angesteuert werden.
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Trotzdem ist Fliegen immer noch angenehmer als mit dem Jeep zu fahren, denn durch den Monsun-Regen sind auch die Straßen so ausgewaschen, dass wir am nächsten Tag auf der Strecke von Pokhara nach Kande nur im Schritttempo vorankommen und alle paar Meter mit den Köpfen gegen das Autodach geschleudert werden.
Der Regen und die Wolken begleiten uns auch die nächsten Tage – und machen es spannend. Meist sind die Sieben- und Achttausender von Wolkenvorhängen verschlossen, aber wenn sie sich dann mal für ein oder zwei Stunden öffnen, dann sind die Ausblicke umso dramatischer.
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Und oft sind wir auch dankbar für den leichten Nieselregen, wenn wir direkt in den Wolken gehen, denn die fünf Tage Aufstieg sind zwar technisch überhaupt nicht anspruchsvoll – aber ziemlich anstrengend, denn in den Falten des Annapurna-Massivs heißt es meist: 800 Meter hoch, dann wieder 600 Meter runter zum nächsten Fluss, gefolgt vom nächsten steilen Anstieg. Zum großen Teil steigen wir Stufen. Am Abend zeigt der Fitness-Tracker im iPhone zwischen 15 und 18 Tausend Stufen und 220 bis 250 Stockwerke, die wir gestiegen sind. Nur zwischen Ghandruk und Chomrong gibt es eine lange Seilbrücke über das Tal. Eine absolut erhebende Erfahrung.
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Mein Sohn hat sich darauf mit Joggen vorbereitet, ich durch das Aufwärmen alter Heldengeschichten („nach Lo Manthang sind wir damals in der halben Zeit hochgestiegen, die ne Hauser-Reisegruppe braucht“). Ihr könnt Euch vorstellen, wie das ausgegangen ist.
Noch größer als das Fitness-Gefälle innerhalb unserer Familie ist allerdings das zwischen den ausländischen Bergsteigern, die wir immer wieder in den Guesthouses und entlang der Wege treffen (nicht zu viele, denn es ist wie gesagt noch Monsun) und den Einheimischen: Während wir schweißüberströmt in teuren Lederbergschuhen, Softshell-Hosen und Neopren-Jacken am Wegesrand stehen und Luft holen, tänzeln schmächtige Nepalis an uns vorbei - in Badeschlappen, mit einer 50-Liter-Gasflasche im Bastkorb auf dem Rücken, und mit einer Fluppe in den Lippen. Jede Colaflasche, jeder Zentner Zement wird so in die Dörfer getragen, die unseren Weg säumen.
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Die letzten beiden Tage regnet es fast dauernd, und nachts gewittert es so heftig, dass wir am Morgen oft über Erdrutsche einen Weg finden müssen. (Für uns ein kleines Hindernis, aber auf dem Rückweg sehen wir, dass vielen Familien die drei oder vier Reisterrassen weggebrochen sind, mit denen sie ihren Lebensunterhalt bestreiten).
Auch die Vegetation ändert sich jetzt: nicht mehr subtropischer Dschungel, der die steilen Hänge bedeckt, sondern gemäßigter Regenwald mit riesigen Farnen, Bambus und vermosten Bäumen wie in Neuseeland. Völlig durchnäßt kommen wir im Machhapuchhre Base Camp auf 3800 Meter an. Zum Abendessen gibt es, wie immer, Dhal Bhat, Reis und Linsen.
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Mit dem Trommeln auf dem Wellblechdach schlafen wir ein. Auch der Guide macht uns wenig Hoffnung: wahrscheinlich werden wir morgen nach den Strapazen keinen einzigen Berg vom Kessel aus sehen. Nach Mitternacht (wir schlafen leicht, weil es in der Höhe dann doch schon leicht im Kopf pocht) donnert es, dann wieder Starkregen. Im Halbstunden-Takt gucke ich auf die leuchtenden Lumen der Explorer im Schlafsack: Prasseln ohne Ende. Tja, schade.
Doch als ich um halb fünf zum Pinkeln aus dem Schlafsack krieche und zum Plumpsklo laufe, seh ich über mir: Sterne. Und Blick zurück dann tatsächlich den weißen, eisernen Panzer des Machhapuchhre über mir.
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Eine halbe Stunde später brechen wir auf und kommen an den Gletscherkamm des Annapurna, gerade als die ersten Sonnenstrahlen das Annapurna-Massiv golden aufleuchte lassen. Keine fünf Minuten hält der Effekt an, kein Foto kann diesen Moment einfangen: Wir stehen im größten Amphitheater der Welt, auf 4100 Meter Höhe, auf drei Seiten umrundet von eisbepackten Riesen.
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Die letzten paar Meter zum Annapurna Base Camp laufen wir wie auf Wolken. Oben gibt es dann chai, das in Fett ausgebackene Gurung-Brot. Nie hat etwas so gut geschmeckt. Eine Stunden lassen wir die Kulisse auf uns einwirken, dann stiefeln wir bergab in die aufziehenden Wolken.
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In ein paar Jahren, zum Abschluss des Studiums, wird mein Kleiner (der inzwischen größer und stärker ist als ich) die Explorer bekommen – bis dahin wird sie mich daran erinnern, wie wir gemeinsam da gestanden sind vor Annapurna I.
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Und wie ich das bei jeder Nepal-Reise gehalten habe, sind wir am ersten Abend zur großen Stupa nach Boudinath gefahren, zweimal im Uhrzeigersinn unter den wachen Augen entlang gelaufen für Schutz und Glück – und haben dann noch einen chai auf der Dachterrasse getrunken.
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Am nächsten Morgen dann Flug nach Pokhara. Mit Yeti-Airlines. Flughäfen in Nepal bieten einem vielfach Gelegenheit auf die Uhr zu schauen: Unser Hinflug ist anderthalb Stunden verspätet. Der Rückflug über sechs. Für einen 25-Minuten-Hüpfer! Grund ist der Monsun, der sich dieses Jahr, wie auch die Jahre zuvor, nicht Ende August verabschiedet, sondern weit in den September schiebt. Wahrscheinlich auch eine Folge der globalen Erderwärmung. Mit drastischen Folgen für Nepal (dazu später mehr) Und wenn sich von der indischen Ganges-Ebene aus die Wolken in die Bergtäler drängen, dann bricht der ganze Flugverkehr innerhalb Nepals zusammen, denn alle Flughäfen außerhalb Kathmandus sind nur Teerpisten, ohne Beleuchtung, ohne Funkfeuer; sie können nur im Sichtflug angesteuert werden.
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Trotzdem ist Fliegen immer noch angenehmer als mit dem Jeep zu fahren, denn durch den Monsun-Regen sind auch die Straßen so ausgewaschen, dass wir am nächsten Tag auf der Strecke von Pokhara nach Kande nur im Schritttempo vorankommen und alle paar Meter mit den Köpfen gegen das Autodach geschleudert werden.
Der Regen und die Wolken begleiten uns auch die nächsten Tage – und machen es spannend. Meist sind die Sieben- und Achttausender von Wolkenvorhängen verschlossen, aber wenn sie sich dann mal für ein oder zwei Stunden öffnen, dann sind die Ausblicke umso dramatischer.
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Und oft sind wir auch dankbar für den leichten Nieselregen, wenn wir direkt in den Wolken gehen, denn die fünf Tage Aufstieg sind zwar technisch überhaupt nicht anspruchsvoll – aber ziemlich anstrengend, denn in den Falten des Annapurna-Massivs heißt es meist: 800 Meter hoch, dann wieder 600 Meter runter zum nächsten Fluss, gefolgt vom nächsten steilen Anstieg. Zum großen Teil steigen wir Stufen. Am Abend zeigt der Fitness-Tracker im iPhone zwischen 15 und 18 Tausend Stufen und 220 bis 250 Stockwerke, die wir gestiegen sind. Nur zwischen Ghandruk und Chomrong gibt es eine lange Seilbrücke über das Tal. Eine absolut erhebende Erfahrung.
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Mein Sohn hat sich darauf mit Joggen vorbereitet, ich durch das Aufwärmen alter Heldengeschichten („nach Lo Manthang sind wir damals in der halben Zeit hochgestiegen, die ne Hauser-Reisegruppe braucht“). Ihr könnt Euch vorstellen, wie das ausgegangen ist.
Noch größer als das Fitness-Gefälle innerhalb unserer Familie ist allerdings das zwischen den ausländischen Bergsteigern, die wir immer wieder in den Guesthouses und entlang der Wege treffen (nicht zu viele, denn es ist wie gesagt noch Monsun) und den Einheimischen: Während wir schweißüberströmt in teuren Lederbergschuhen, Softshell-Hosen und Neopren-Jacken am Wegesrand stehen und Luft holen, tänzeln schmächtige Nepalis an uns vorbei - in Badeschlappen, mit einer 50-Liter-Gasflasche im Bastkorb auf dem Rücken, und mit einer Fluppe in den Lippen. Jede Colaflasche, jeder Zentner Zement wird so in die Dörfer getragen, die unseren Weg säumen.
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Die letzten beiden Tage regnet es fast dauernd, und nachts gewittert es so heftig, dass wir am Morgen oft über Erdrutsche einen Weg finden müssen. (Für uns ein kleines Hindernis, aber auf dem Rückweg sehen wir, dass vielen Familien die drei oder vier Reisterrassen weggebrochen sind, mit denen sie ihren Lebensunterhalt bestreiten).
Auch die Vegetation ändert sich jetzt: nicht mehr subtropischer Dschungel, der die steilen Hänge bedeckt, sondern gemäßigter Regenwald mit riesigen Farnen, Bambus und vermosten Bäumen wie in Neuseeland. Völlig durchnäßt kommen wir im Machhapuchhre Base Camp auf 3800 Meter an. Zum Abendessen gibt es, wie immer, Dhal Bhat, Reis und Linsen.
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Mit dem Trommeln auf dem Wellblechdach schlafen wir ein. Auch der Guide macht uns wenig Hoffnung: wahrscheinlich werden wir morgen nach den Strapazen keinen einzigen Berg vom Kessel aus sehen. Nach Mitternacht (wir schlafen leicht, weil es in der Höhe dann doch schon leicht im Kopf pocht) donnert es, dann wieder Starkregen. Im Halbstunden-Takt gucke ich auf die leuchtenden Lumen der Explorer im Schlafsack: Prasseln ohne Ende. Tja, schade.
Doch als ich um halb fünf zum Pinkeln aus dem Schlafsack krieche und zum Plumpsklo laufe, seh ich über mir: Sterne. Und Blick zurück dann tatsächlich den weißen, eisernen Panzer des Machhapuchhre über mir.
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Eine halbe Stunde später brechen wir auf und kommen an den Gletscherkamm des Annapurna, gerade als die ersten Sonnenstrahlen das Annapurna-Massiv golden aufleuchte lassen. Keine fünf Minuten hält der Effekt an, kein Foto kann diesen Moment einfangen: Wir stehen im größten Amphitheater der Welt, auf 4100 Meter Höhe, auf drei Seiten umrundet von eisbepackten Riesen.
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Die letzten paar Meter zum Annapurna Base Camp laufen wir wie auf Wolken. Oben gibt es dann chai, das in Fett ausgebackene Gurung-Brot. Nie hat etwas so gut geschmeckt. Eine Stunden lassen wir die Kulisse auf uns einwirken, dann stiefeln wir bergab in die aufziehenden Wolken.
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In ein paar Jahren, zum Abschluss des Studiums, wird mein Kleiner (der inzwischen größer und stärker ist als ich) die Explorer bekommen – bis dahin wird sie mich daran erinnern, wie wir gemeinsam da gestanden sind vor Annapurna I.