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Redsub
05.12.2005, 00:37
Ursprünglich war die wasserdichte Uhr gar nicht für Taucher gedacht

Von Gisbert L. Brunner


Textauszug

Fast Vier Zentimeter dick und ein halbes Pfund schwer - nicht gerade handlich war jene Armbanduhr, der folgendes Telegramm vom 25. Januar 1960 galt: "Glücklich zu melden, dass Ihre Uhr in 11 000 Meter Tiefe ebenso genau geht wie sonst." Als Absender zeichnete der Unterwasserforscher Jacques Piccard, der dem Adressaten, der Uhrenmanufaktur Rolex in Genf, auch noch beste Grüße übermittelte. Anlass zur Freude bestand übrigens für beide Seiten. Piccard hatte mit seiner Tiefseestahlkugel "Trieste" zwei Tage zuvor den Grund der "Challenger Deep" vor der Küste Guams erreicht - immerhin exakt 10 916 Meter unter dem Meeresspiegel.

Der Zeitmesser, zu dem Piccard das Haus Rolex beglückwünschte, befand sich keineswegs im schützenden Bauch der 13 Tonnen schweren Tauchkapsel. Techniker hatten das opulente Zeitgebilde außen an der zwölf Zentimeter dicken Wandung befestigt und es dort einem Druck von rund 1125 Kilogramm je Quadratzentimeter ausgesetzt. Nach dem rund achteinhalb Stunden währenden Ausflug in die Welt des Schweigens tickte es völlig unbeeindruckt weiter.

Die Geschichte der "Oyster" reicht bis in die zwanziger Jahre zurück, als die Armbanduhr in den Kinderschuhen steckte und Männer von Welt ihren persönlichen Zeitmesser noch an der Kette zu tragen pflegten. Am 30. Oktober 1925 meldete ein waschechter Bayer namens Hans Wilsdorf ein neuartiges Uhrengehäuse mit verschraubter Aufzugskrone zum Patent an.

Im gleichen Jahr wünschte sich der deutsche Uhrmacher Bruno Hillmann nichts sehnlicher, als dass für ihn und seine Kollegen "endlich die Erlösungsstunde von der Tyrannei der Armbanduhr schlagen würde". Warum, das schilderte er in seinem Buch "Die Armbanduhr. Ihr Wesen und ihre Behandlung bei der Reparatur": "Bei größter Kälte und stärkstem Sonnenbrande, beim Putzen, Fegen, Waschen, Tanzen, Turnen, beim Sport, aus Vergesslichkeit selbst beim Baden und sogar im Bett wird die Armbanduhr anbehalten. Und das soll nun alles gerade eine so empfindliche kleine Uhr aushalten."

Hillmann ahnte nicht, was der Rolex-Gründer Wilsdorf in London trieb, was der gelernte Kaufmann in der Pipeline hatte. Sonst hätte er vermutlich anders geurteilt. 1926 war das wasserdichte Gehäuse mit dem einprägsamen Namen "Oyster" jedenfalls Realität. Der Rest fiel dem Marketinggenie oberfränkischer Provenienz nicht eben schwer. Wilsdorf wusste sehr genau um die verkaufsfördernde Wirksamkeit spektakulärer Aktionen.

Deshalb band er eine seiner neuen "Austern" ans Handgelenk der Amazone Mercedes Gleitze. Die wiederum durchschwamm damit am 7. Oktober 1927 den Ärmelkanal in 15 Stunden und 15 Minuten. Selbstverständlich bestand der chronometrische Newcomer diesen Härtetest bravourös.

Die "Oyster" entwickelte sich zu einer beispiellosen Erfolgsstory, zu einem Lieblingskind der Produktpiraten und machte das Unternehmen Rolex zum mehrfachen Umsatzmilliardär.
Wenige Jahre nach dem werbewirksamen Start der "Oyster" sprach im Ladengeschäft des Pariser Nobeljuweliers Cartier der Pascha von Marrakesch vor. Weil er beim Schwimmen im heimischen Pool stets die Zeit im Blick haben wolle, müsse seine neue Armbanduhr dem nassen Element problemlos widerstehen. Louis Cartier, der an Luxusuhren fürs Schwimmbad bis dahin kaum zu denken gewagt hatte, suchte nach einer unkonventionellen Lösung. Dezentes Auftreten und zurückhaltende Formensprache waren mit Sicherheit nicht geeignet, dem Verlangen des orientalischen Fürsten Rechnung zu tragen. Als Cartier seine Arbeit 1932 ablieferte, zeigte sich der vornehme Kunde sichtlich zufrieden. Die "Pasha" genannte Uhr besaß eine markant verschraubte Krone, war wasserdicht und ließ auch sonst wohl kein Wünsche offen.

Noch ein paar Jahre später, man schrieb das Jahr 1936, präsentierten die Officine Panerai in Florenz den Prototyp einer Armbanduhr. In einem großen, kissenförmigen Gehäuse tickte ein Rolex-Werk. Nach eingehender Erprobung orderten die Behörden gleich zehn Exemplare für ein geheimes Spezialkommando der italienischen Marine. Ab 1938 fand man die "Radiomir Panerai" an den Handgelenken von Männern der Gamma-Gruppe, die gewagte Angriffe auf feindliche Schiffe übernahmen. Die Männer näherten sich ihren Zielen entweder schwimmend oder auf speziellen Torpedos. Durch eine Beschichtung mit einer speziellen Substanz besaßen Ziffern und Zeiger eine besonders hohe Leuchtkraft. Somit konnten die opulenten Zeitmesser selbst bei völliger Dunkelheit abgelesen werden, was die Gefahr der Entdeckung durch den Feind erheblich verringerte.

Drei Beispiele aus drei Welten, die zeigen, dass die Wasserdichtigkeit von Armbanduhren seit den zwanziger Jahren ein beherrschendes Thema war und bis heute geblieben ist. Längst gibt es Zeitmesser "von der Stange", die auch 1000 Meter unter dem Meeresspiegel klaglos funktionieren.

Gisbert L. Brunner, Jahrgang 1947, lebt als freier Autor in München. Schon in seiner Jugend sammelte er Armbanduhren. Seit etwa 20 Jahren schreibt er fast ausschließlich über dieses Thema.


Gruß