LOLEX & BOLEX
20.05.2006, 08:50
Von der Infektion bis zum Ausbruch der Krankheit - ein Kurzroman
Es war einer dieser zu kühlen und regnerischen Sommertage im Jahr 1994. Ein Sonntag, an dem man entweder depressiv auf das Klingeln des Weckers am nächsten Morgen wartet, oder die liegengebliebenen Urlaubsbilder der letzten 10 Jahre in sein Album einklebt. Ich entschied mich in solchen Momenten meist zu einem Besuch des, wie ich es liebevoll nannte, Bermudadreiecks. Wenn man auf einem Stadtplan von Aschaffenburg die Standorte der drei großen Innenstadtjuweliere mit Geraden verbindet, ergibt sich genau diese geometrische Grundform. Und einmal darin verirrt, konnte es auch passieren, dass ich für Stunden verscholl. So stand ich nun unter dem Vordach - geschützt vor dem leichten Regen - und drückte mir die Nase an den Auslagen platt. ROLEX! Schon als kleiner Bursche, als mich mein Vater an der Hand nahm um mir in der Fussgängerzone bei Würstl Maier eine "Heiße mit Senf" zu spendieren, faszinierten mich die Schaufenster des gegenüberliegenden Juwelieres. Damals prangte noch die gelbe, leuchtstoffröhrengeschwängerte Krone nebst grünem Markenschriftzug über der Tür. Dieser Name rollte so schön über Zunge!
Da stand ich nun und bestaunte mit glänzenden Augen die Mitte der 90er Jahre leider etwas magere Auswahl an Modellen mit für mich utopischen Preisen. Mein Blick driftete auf einmal etwa einen Meter nach links unten ab und da stand er - etwas in den Hintergrund deplaziert: ein Markenaufsteller mit der Aufschrift TUDOR. Was um alles in der Welt war das? Die Uhren sahen ja aus wie die von ROLEX?! Von höchster Stelle autorisierte Markenpiraterie? Unglaublich. Ich ging näher heran und konnte auf dem Zifferblatt eines Chronographen "Oysterdate" lesen und statt der Krone prangte ein schildähnliches Wappen darauf. Seltsam. Total verunsichert ob dieser unheimlichen Begegnung wollte ich es genau wissen: was würde wohl auf der Auzugskrone für ein Symbol zu sehen sein? Ich verdrehte meinen Kopf, schmierte meine Wange bückend an der Sicherheitsglasscheibe entlang und versuchte, das ungünstig einfallendeTageslicht auf die noch ungünstiger stehende Uhr auszutricksen und etwas zu erkennen. War das nicht... nein - das kann nicht sein! Etwa das ROLEX-Logo...? Tagelang - nein wochenlang muß ich wie versteinert in dieser Quasimodohaltung an dem Schaufenster gehangen haben. Meine Familie ließ mich bereits polizeilich suchen, während ich noch immer auf die Uhr glotzte. Das Preisschild verriet 2200 DM - weniger als die Hälfte eines Sportmodells der - was ich damals noch nicht wußte - großen Schwester.
Ich fasste mir in den darauffolgenden Tagen ein Herz und betrat, nachdem ich zuvor verschämt mindestens zweihundert Mal um die Auslagen geschlichen war, mit meinen Turnschlappen die geheiligte Halle. Auf die Frage, was es mit diesen TUDOR-Uhren auf sich habe, schickte mir die überforderte Verkäuferin gleich den ambitionierten Uhrmachermeister herunter, welcher mir in einem ausführlichen mündlichen Aufsatz die Geschichte und Verknüpfung dieser beiden Marken erläuterte. Das war doch die Rettung! Eine "Rolex des kleinen Mannes", eine "Unterschichtenuhr" als Übergangslösung, bis die "Platzreife" für die große Schwester vielleicht irgendwann einmal erreicht werden würde... Man empfahl mir anhand von Katalogbildern die wohl schönste Variante der 79180 (Big Block Chrono): silbernes Blatt, schwarze Totalisatoren und polierte, gravierte Lünette. Ein Traum in Stahl. "Wieviel Tage oder Wochen würde es dauern, bis die Uhr hier wäre?" war meine ungeduldige Frage. Der Uhrmacher begann langsam am ganzen Körper zu vibrieren, immer stärker - aus einem anfänglicheln Hüsteln entwickelte sich stetig ansteigend ein mitleidiges Kichern, welches in einem von Schüttelkrämpfen gebeutelten Lachanfall endete, bei dem sich links und rechts Kullertränen aus den Augenwinkeln ergossen. "9 bis 12 Monate Lieferzeit ist der momentane Stand bei TUDOR." erwiderte der Mann, nachdem er sich wieder gefasst hatte. Nun standen mir die Tränen in den Augen. Völlig in Trance - fernab jeglicher Vernunft und sämtliche momentanen Kontostände außer Acht lassend schlug ich ein, bezahlte 100 DM an und ging nach Hause. Meine damalige Lebensgefährtin fragte mich nach meiner Beichte, ob ich einst im Kindergarten zu lange einen nassen Hut aufgehabt hätte. Gott sei Dank kriselte es schon seit Jahren in dieser Beziehung...
Der Rest ist schnell erzählt. Die Frau und ich gingen auseinander - sie hatte alles, ich nichts. So musste ich mir eine neue Wohnung suchen und einen kompletten Hausstand kaufen. Nebenbei war mein Auto noch irreparabel in sich zusammengefallen, worauf mir mein damaliger Arbeitgeber mit einem zinsgünstigen Darlehen unter die Arme griff, um einen ordentlichen Neuwagen zu erstehen. Da sass ich nun in meiner Neubauwohnung, mit Neuwagen und neuen Möbeln. Dafür ohne einen roten Ratz auf dem Konto und aß jeden Tag Spaghetti mit Öl - an Feiertagen auch mal eine Scheibe Toastbrot mit Nutella zum Dessert. Was für ein Glück, dass mir in dieser Misere die einjährige Lieferzeit meiner Traumuhr entgegenkam. Da konnte ich noch eine Weile versuchen zu sparen - vielleicht indem ich die tägliche Spaghettiration von 250 auf 180 Gramm kürzen und nur noch Aldiolivenöl kaufen würde?! Nur fünf Monate nach Bestellung der Uhr hörte ich - von der Arbeit heimgehrt - meinen Anrufbeantworter ab, auf den eine Angestellte meines Leib- und Magenjuwelieres aufgsäuselt hatte: "...Ihnen mitteilen, dass Ihre bestellte TUDOR eingetroffen ist. Bitte kommen Sie in den nächsten Tagen vorbei..."
Mit einem Rekordminus auf dem Girokonto - aber stolz wie ein Schneider holte ich sie dann ab... Der Virus hatte sich unheilbar in mir eingenistet. Im Laufe der Jahre regulierte sich meine Gesamtsituation nebst Finanzen stetig in den positiven und schwarzen Bereich und ich begann, mir einige schöne TUDOR-Modelle zuzulegen - bis am 17. Mai 2006 die Krankheit endgültig ausbrach und ich mir im SC die DJ gekauft habe - endlich! Platzreife kurz vor dem 40. Lebensjahr. Das Leben kann so schön sein...
Es war einer dieser zu kühlen und regnerischen Sommertage im Jahr 1994. Ein Sonntag, an dem man entweder depressiv auf das Klingeln des Weckers am nächsten Morgen wartet, oder die liegengebliebenen Urlaubsbilder der letzten 10 Jahre in sein Album einklebt. Ich entschied mich in solchen Momenten meist zu einem Besuch des, wie ich es liebevoll nannte, Bermudadreiecks. Wenn man auf einem Stadtplan von Aschaffenburg die Standorte der drei großen Innenstadtjuweliere mit Geraden verbindet, ergibt sich genau diese geometrische Grundform. Und einmal darin verirrt, konnte es auch passieren, dass ich für Stunden verscholl. So stand ich nun unter dem Vordach - geschützt vor dem leichten Regen - und drückte mir die Nase an den Auslagen platt. ROLEX! Schon als kleiner Bursche, als mich mein Vater an der Hand nahm um mir in der Fussgängerzone bei Würstl Maier eine "Heiße mit Senf" zu spendieren, faszinierten mich die Schaufenster des gegenüberliegenden Juwelieres. Damals prangte noch die gelbe, leuchtstoffröhrengeschwängerte Krone nebst grünem Markenschriftzug über der Tür. Dieser Name rollte so schön über Zunge!
Da stand ich nun und bestaunte mit glänzenden Augen die Mitte der 90er Jahre leider etwas magere Auswahl an Modellen mit für mich utopischen Preisen. Mein Blick driftete auf einmal etwa einen Meter nach links unten ab und da stand er - etwas in den Hintergrund deplaziert: ein Markenaufsteller mit der Aufschrift TUDOR. Was um alles in der Welt war das? Die Uhren sahen ja aus wie die von ROLEX?! Von höchster Stelle autorisierte Markenpiraterie? Unglaublich. Ich ging näher heran und konnte auf dem Zifferblatt eines Chronographen "Oysterdate" lesen und statt der Krone prangte ein schildähnliches Wappen darauf. Seltsam. Total verunsichert ob dieser unheimlichen Begegnung wollte ich es genau wissen: was würde wohl auf der Auzugskrone für ein Symbol zu sehen sein? Ich verdrehte meinen Kopf, schmierte meine Wange bückend an der Sicherheitsglasscheibe entlang und versuchte, das ungünstig einfallendeTageslicht auf die noch ungünstiger stehende Uhr auszutricksen und etwas zu erkennen. War das nicht... nein - das kann nicht sein! Etwa das ROLEX-Logo...? Tagelang - nein wochenlang muß ich wie versteinert in dieser Quasimodohaltung an dem Schaufenster gehangen haben. Meine Familie ließ mich bereits polizeilich suchen, während ich noch immer auf die Uhr glotzte. Das Preisschild verriet 2200 DM - weniger als die Hälfte eines Sportmodells der - was ich damals noch nicht wußte - großen Schwester.
Ich fasste mir in den darauffolgenden Tagen ein Herz und betrat, nachdem ich zuvor verschämt mindestens zweihundert Mal um die Auslagen geschlichen war, mit meinen Turnschlappen die geheiligte Halle. Auf die Frage, was es mit diesen TUDOR-Uhren auf sich habe, schickte mir die überforderte Verkäuferin gleich den ambitionierten Uhrmachermeister herunter, welcher mir in einem ausführlichen mündlichen Aufsatz die Geschichte und Verknüpfung dieser beiden Marken erläuterte. Das war doch die Rettung! Eine "Rolex des kleinen Mannes", eine "Unterschichtenuhr" als Übergangslösung, bis die "Platzreife" für die große Schwester vielleicht irgendwann einmal erreicht werden würde... Man empfahl mir anhand von Katalogbildern die wohl schönste Variante der 79180 (Big Block Chrono): silbernes Blatt, schwarze Totalisatoren und polierte, gravierte Lünette. Ein Traum in Stahl. "Wieviel Tage oder Wochen würde es dauern, bis die Uhr hier wäre?" war meine ungeduldige Frage. Der Uhrmacher begann langsam am ganzen Körper zu vibrieren, immer stärker - aus einem anfänglicheln Hüsteln entwickelte sich stetig ansteigend ein mitleidiges Kichern, welches in einem von Schüttelkrämpfen gebeutelten Lachanfall endete, bei dem sich links und rechts Kullertränen aus den Augenwinkeln ergossen. "9 bis 12 Monate Lieferzeit ist der momentane Stand bei TUDOR." erwiderte der Mann, nachdem er sich wieder gefasst hatte. Nun standen mir die Tränen in den Augen. Völlig in Trance - fernab jeglicher Vernunft und sämtliche momentanen Kontostände außer Acht lassend schlug ich ein, bezahlte 100 DM an und ging nach Hause. Meine damalige Lebensgefährtin fragte mich nach meiner Beichte, ob ich einst im Kindergarten zu lange einen nassen Hut aufgehabt hätte. Gott sei Dank kriselte es schon seit Jahren in dieser Beziehung...
Der Rest ist schnell erzählt. Die Frau und ich gingen auseinander - sie hatte alles, ich nichts. So musste ich mir eine neue Wohnung suchen und einen kompletten Hausstand kaufen. Nebenbei war mein Auto noch irreparabel in sich zusammengefallen, worauf mir mein damaliger Arbeitgeber mit einem zinsgünstigen Darlehen unter die Arme griff, um einen ordentlichen Neuwagen zu erstehen. Da sass ich nun in meiner Neubauwohnung, mit Neuwagen und neuen Möbeln. Dafür ohne einen roten Ratz auf dem Konto und aß jeden Tag Spaghetti mit Öl - an Feiertagen auch mal eine Scheibe Toastbrot mit Nutella zum Dessert. Was für ein Glück, dass mir in dieser Misere die einjährige Lieferzeit meiner Traumuhr entgegenkam. Da konnte ich noch eine Weile versuchen zu sparen - vielleicht indem ich die tägliche Spaghettiration von 250 auf 180 Gramm kürzen und nur noch Aldiolivenöl kaufen würde?! Nur fünf Monate nach Bestellung der Uhr hörte ich - von der Arbeit heimgehrt - meinen Anrufbeantworter ab, auf den eine Angestellte meines Leib- und Magenjuwelieres aufgsäuselt hatte: "...Ihnen mitteilen, dass Ihre bestellte TUDOR eingetroffen ist. Bitte kommen Sie in den nächsten Tagen vorbei..."
Mit einem Rekordminus auf dem Girokonto - aber stolz wie ein Schneider holte ich sie dann ab... Der Virus hatte sich unheilbar in mir eingenistet. Im Laufe der Jahre regulierte sich meine Gesamtsituation nebst Finanzen stetig in den positiven und schwarzen Bereich und ich begann, mir einige schöne TUDOR-Modelle zuzulegen - bis am 17. Mai 2006 die Krankheit endgültig ausbrach und ich mir im SC die DJ gekauft habe - endlich! Platzreife kurz vor dem 40. Lebensjahr. Das Leben kann so schön sein...