PDA

Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Für alle die noch zu Hause bei Mama und Papa wohnen...



orange
12.07.2004, 11:23
Die Geheimnisse der Männer-WG

Nach der Geburt muss der Mann noch genau zweimal in seinem Leben einen
wärmenden, schützenden Schoss verlassen. Das erstemal, wenn er sein
Kinderzimmer räumt. Das zweitemal, wenn er seine kuschelig-miefige
Junggesellen-WG verlässt, um mit einer Frau zusammenzuleben. Für
viele Männer ist dieser Schritt das wahre Geburtstrauma. Denn die
Männer-WG ist ein friedlicher, idyllischer Ort, eine arkadische
Landschaft aus verstreuten Tennissocken, Bundesliga-Stecktabellen,
getrockneten Zimmerpalmen und Sophie-Marceau-Plakaten. Der Schock ist
gross, wenn wir aus diesem Paradies vertrieben werden.

Vielleicht läßt sich die Männer-WG am besten anhand ihres
spirituellen Mittelpunktes erklären. Es ist der Bierkasten. Oder,
richtiger: Die Kästen Bier. Ganz egal, ob aus diesem getrunken wird,
oder nicht - es geht immer darum, ?einen Kasten Bier im Haus zu haben?.
Dieser Kasten Bier ist der augenfällige Beweis einer grundehrlichen,
geradezu bauarbeiterhaften Bodenständigkeit, die wir uns trotz unserer
lahmen Schlipsträger-Jobs bewahrt haben. Ein Mann braucht einen
Bierkasten, um einem anderen Mann seine Zuneigung auszudrücken: ?Komm
doch mal vorbei, wir haben auch ?n Kasten Bier im Haus.?

Der Kasten dient ausserdem als Legitimation aller möglichen
Aktivitäten, die ohne ihn ziellos, ja läppisch erscheinen würden:
?Dann trommeln wir ein paar Leute zusammen, schnappen uns einen Ball,
gehen in den Park, und wir bringen einen Kasten Bier mit.? Zum Kasten
Bier gehören in der Männer-WG zahlreiche Rituale, etwa das, keinen
Flaschenöffner zu haben, um die Flasche wortlos mittels Feuerzeug,
Rohrzange, Tischkante oder am Kasten selbst zu öffnen - wobei die
letzte Variante sicher die schönste ist, der Kasten Bier als
vollkommenes geschlossenes System. Kein Wunder übrigens, dass man
Männer, die lange in Männer-WGs gelebt haben, oft an einer
kronkorkenförmigen Narbe unter der Fusssohle erkennt.

Mit dem Kasten Bier, dessen Bedeutung gar nicht zu überschätzen ist,
hängt ein anderes Männer-WG-typisches Phänomen zusammen. Was den
Protestanten ihr Kirchentag, den Ravern ihre Love-Parade, den
Telekom-Aktionären ihre Hauptversammlung, das sind den in WGs
organisierten Männern die internationalen Fussballturniere EM und WM:
ein grosses sinnstiftendes Gemeinschaftserlebnis. Allein das
Bewusstsein, dass sich zur selben Zeit Millionen andere genauso mit
Erdnussflips und einem Kasten Bier vor dem Fernseher gemütlich gemacht
haben, schafft jenes quasi-erotische Zusammengehörigkeitsgefühl, das
man sonst nur durch Einnahme von Ecstasy oder die Ausschüttung einer
schönen Dividende erreicht.

Fast so wichtig wie der Kasten Bier ist der blaue Müllsack. Er
reduziert nicht nur die Gänge zum Container auf einen pro Monat, er
garantiert auch, dass der Kontakt zu den Eltern nicht völlig abreisst:
Etwa alle sechs bis acht Wochen schleppen WG-Männer ihre
Schmutzwäsche in dem von innen feucht beschlagenen blauen Müllsack
zu Mama. Denn die Männer-WG hat keine Waschmaschine oder benutzt sie
nicht.

Das hat nichts mit Faulheit zu tun, ebensowenig wie die diversen
Sedimentschichten Schmutzgeschirr. Vielmehr kommt es in Männer-WGs zu
einer physikalischen Anomalie von kosmischen Ausmassen: Das Gesetz, dass
Energie nicht verloren gehen kann, wird in jeder Männer-WG tagein,
tagaus aufs neue widerlegt. Energie wird hier spurlos abgesaugt, bis
selbst der grösste Ehrgeizling seine Aktivitäten darauf
beschränkt, eine Kuhle in die Fernsehcouch zu sitzen und ab und zu
?machen wir morgen? und ?bloss keinen Stress? zu nuscheln.

Wenn überhaupt, denn nach jahre- langem Zusammenwohnen beschränkt
sich die verbale Kommunikation in der Männer-WG zumeist auf
verschiedene Intonationen des Koseworts ?Alter?. ?Alter? ohne Betonung
bedeutet: ?Hallo, wie geht?s, wie war dein Tag?? ?Alteeer?, gedehnt:
Ausdruck grosser Begeisterung und Anerkennung, etwa wenn ein Mitglied
der WG Pizza geholt hat. ?Alter!?, nachdrücklich: Du stehst im Bild.
Man merkt schon, in der Männer-WG herrschen vorzivilisatorische
Zustände. Viele dort praktizierten Verhaltensweisen sind nur als
tiefverwurzelter Aberglaube zu erklären: Nie den Klosettdeckel
runterklappen, das bringt Unglück! Im Stehen pinkeln!

Die hinteren Regionen des Kühlschranks sind geschützter Lebensraum
fur mutierte Nahrungsmittel und fur Menschen tabu! Comic-Lektüre
erleichtert den Stuhlgang! Das heikle Thema Toilettenlektüre hat in
diesem Zusammenhang besondere Beweiskraft: Wir Maenner wollen es uns
überall so gemütlich wie möglich machen. Wir werden von einem
Nesttrieb gesteuert, wie er in der Tierwelt kein zweites Mal vorkommt.
Wir haben den Schrebergarten, die Eckkneipe und die Business-Class
erfunden, damit wir es überall schön heimelig haben: in der ?Kolonie
kleine Zuflucht?, in ?Lothi?s Prapelstübchen?, in der
?Executive-Lounge?. Und eben in der Männer-WG.

Aus diesem Biotop werden wir jäh herausgerissen, wenn wir zum ersten
Mal in unserem Leben mit einer Frau zusammenziehen. Als unsere
Männer-WG von der Faust der heterosexuellen Anziehung zerschmettert
wurde, ereilte alle meine Freunde dasselbe Schicksal:
Frauen, die in das Zusammenleben uns vorher völlig unbekannte
Komponenten hereinbrachten. Vor allem kalte, schneidende Vernunft:
?Wieso einen ganzen Kasten? Das trinken wir doch nie!? Früher kauften
wir Lebensmittel stückweise im Spätkauf der Tankstelle, jetzt
bekommen wir Einkaufszettel an die Hand, die in der Reihenfolge der
Warenregale im Verbrauchermarkt geordnet sind. Vorbei ist es auch mit
der geradezu Biolekschen Harmoniesucht, die wir aus der Männer-WG
gewohnt waren. Zum ersten Mal stellen wir fest, dass man Probleme auch
anders lösen kann, als sie vorm Fernseher oder auf dem Klo
auszusitzen. Wir lernen, dass es ausserhalb der Männer-WG nicht zur
Versöhnung reicht, dem anderen ein blutiges Steak zu braten.

Am gravierendsten aber ist das Ende der Gemütlichkeit. In der
Männer-WG kamen Kumpels vorbei (?Habt ihr ?n Kasten Bier da??), heute
haben wir Gäste. Wir werden plötzlich gezwungen, uns Gedanken zu
machen über Tischdecken, Menueabfolgen und Gesprächsstoff, wo
früher die Pizza aus dem Karton alle drei Probleme auf einmal löste
(?Mann, ist die Pizza heute wieder schmierig.? - ?Kannste laut
sagen.?-?MANN, IST DIE PIZZA...?, usw.). (GROEOEOEOEOEHL!)

Während der Mikrokosmos Männer-WG sich selbst genug ist, geraten wir
nun ständig mit der Aussenwelt in Berührung: mit Theatern, Museen,
Einrichtungshäusern und mit den Müllcontainern hinten auf dem Hof.
Erst im Zusammenleben mit einer Frau werden wir langsam zu
funktionstüchtigen Mitgliedern der sozialen Gemeinschaft. Aber diese
Evolution vom Höhlenbewohner zum Homo lebensgefaehrtiensis ist ein
schmerzhafter Prozess, der uns viele Opfer abverlangt.

Zum Beispiel Kurts Hemden-Trick, der einem das Bügeln ersparte: ein
ungebügeltes Hemd einen Tag lang unter einem Pullover anziehen, so
dass es am nächsten Tag nicht mehr ungebügelt aussieht, sondern so,
als sei es gebügelt worden und dann am Körper zerknittert. Nun kann
man das Hemd noch zwei Tage ohne Pullover anziehen! Wir haben ihn
dafür bewundert, Beate hat ihm nahegelegt, einen Bügelkurs zu
belegen.

Frank pflegte seinen Sessel so vor den Fernseher zu schieben, dass er
den Fuss bequem auf den Fernsehtisch auflegen konnte, um mit der nackten
Zehe die Programme zu wechseln und die Lautstärke zu regeln. Eine
schöne, körperliche Form von Interaktivität, eine symbiotische
Einheit von Mensch und Medium, die langen Fernsehabenden eine geradezu
metaphysische Qualität verlieh. Karla hat einfach neue Batterien fur
die Fernbedienung gekauft, nachdem sie zusammengezogen sind.

Vorbei die Zeiten, da wir uns mit dem heissen Eierwasser einen zeit- und
energiesparenden Beuteltee aufgossen. Noch schwerer aber fällt es uns,
Nudeln plötzlich ohne Hilfe der Küchendecke zu kochen.
In unserer Männer-WG hatten wir nämlich einen genialen Trick
entwickelt, auf den man in Christiane Herzogs Kochstudio lange warten
kann: Um festzustellen, wann Spaghetti fertig sind, nimmt man ein paar
aus dem Topf und schleudert sie an die Decke. Fallen sie wieder
herunter, so sind sie noch zu hart. Bleiben sie kleben, sind sie genau
richtig.

Buon appetito!

?Das dicke Weltwunder?

ehemaliges mitglied
12.07.2004, 12:35
Also ich wohne auch zuhause. Du etwa nicht?

orange
12.07.2004, 12:39
LOL.... ja natürlich... :D :D .. meine natürlich bei mama und papa...