Challenge accepted: Mont Ventoux
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am 17.07.2012 um 21:24 (4636 Hits)
So, die einen oder anderen wissen ja, daß ich seit einiger zeit für den QDDS trainiere. Laufen hab ich soweit intus, 10 km sind meine Hausstrecke, einen Halbmarathon pro Monat schaff ich seit kurzem auch. Es macht so weit Spaß, ich komm klar mit Sehnen, Muskeln und gelenken, bissi Gefühl fürs Equipment hab ich auch und überhaupt merke ich, daß ich generell wesentlich fitter und leistungsfähiger bin. Die pösen pösen Petablocker nehm ich ebenfalls nur noch selten.
Nun also Radfahren. Vor nicht allzulanger Zeit wurde mir durch Reitzbar und Rabauke Radsport, Wiesbaden ein schönes Rennrad zur Verfügung gestellt. Nicht neu, eher schön vintage, aber für damalige Verhältnisse vom feinsten. Ehemaliges Teamrad, wenn ich das richtig verstanden habe, die perfekte Mühle, um mich mal in die Materie reinzuarbeiten. Das Rennradfahren hat mich von der ersten minute begeistert. nach vielen Jahren mehr oder weniger intensiven MTB-radelns gefiel mir die höhere Geschwindigkeit und das leichtere Vorankommen spontan. Es mußte ein neues Rad her, ein eigenes.
Dieses kam schließlich vor ein paar Wochen an - ebenfalls von Reitzbar und Raus hier! Radsport, Wiesbaden, meinem treuen und kompetenten Dealer:
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Für meine Verhältnisse ein ziemliches Monster: Carbonrahmen, dezentes neongrün und als Clou eine ziemlich funkige elektronische Schaltung von Shimano. Ich hab schon immer Spaß an Schaltungen gehabt: Wenn die so auf leichten Reglerdruck präzise einrasten und man so schnellfeuermäßig durch die Gänge heizen kann, immer direktes Feedback durch das Rassel- und Klappergeräusch - toll. Hier ist das alles noch einen Tacken feiner und schneller. Man hört nur noch ein Sirren und Whirren, kann noch schneller schalten - im Prinzip kann man 8 Gänge durchheizen mit einer Viertel Pedaldrehung - und die Schaltwippen reagieren auf eine leichte Fingerberührung. Unnötig wie ein Kropf, insbesondere bei meinem Leistungsstand, aber das mußte sein. Ist natürlich eher ein Caferacer mit der Farbe und doch nicht völlig leichten 9 kg Gesamtgewicht.
Im Forum eingestellt, gingen dann gleich die Diskussionen los. Dinge, die ich vorher noch nie gehört hatte, kamen zur Sprache. Wtf ist eine Compactkurbel? Wtf. ist eine Standardkurbel? Sicher, der Meister aller Radklassen hatte mich gefragt, wie ich denn so auf dem Berg zurechtkäme. Meine Antwort "gut" (ich hätte genauso gut "rhombenförmig" sagen können), wurde mit der Installation einer Standardkurbel quittiert, was immer das war. Zu denken gab mir, daß sich der hitzigste Part der Diskussion zwischen meinem Raddealer und meinem Trainer und Wingman (Vriesi, er meints nicht so, der ist *immer* so!) entsponn. Gut, daß man über FB keine Reizstromstöße versenden kann, sonst hätte noch einer geheult
Dort wurde ich dann von Leuten, deren Rat ich schätze und die ich als Kompetenzen ansehe (Vriesi, Yeti, Nico et al.), aufgeklärt, daß man steilere Aufgänge besser mit einer Compactkurbel nimmt, da man hier tiefer schalten könne und da nicht so auf die Knie ginge. Okay, glaub ich jetzt mal so. Die netten Herren von Reizgas und Rotzig Radsport, Wiesbaden, standen auch noch für eine rasche Umrüstaktion zur Verfügung, aber diverse hektisch geführte Telefonate bestärkten mich in der Auffassung, die Standardkurbel, die doch immerhin auch auf den passenden Namen "Heldenkurbel" hört, drauf zu lassen...
Ach ja, momentan ist ja die Tour de France. Dort fiel immer wieder mal der Begriff "Mont Ventoux". Als ich diesen vor meiner Frau erwähnte, konterte sie, daß dieser von unserem Feriendomizil aus recht gut sichtbar sei. Okay, Challenge accepted.
Die vollmundige Äußerung, den Mont Ventoux zu erklimmen, wurde bei FB und co. gut aufgenommen. Von "Du schaffst das" bis Häme, von Wetten auf mich bis zu Wetten gegen mich kam alles vor, am ermunterndsten waren immer die "Vielleicht doch erstmal mit dem Auto?"-Posts. Und über allem dräute die Compactkurbel. Ach ja, und die Tatsache, daß ich bis dato keine 200 km auf dem Rennrad unterwegs war und das neue Rad noch keine 70 Meter gefahren hatte...
Vor Ort wurds dann nochmal lustig. Rocker & Raufbold Radsport, Wiesbaden, hatte mir die Zusendung meiner superflyen, weißen Shimano-Radschuhe versprochen, aber das ging sich leider nicht aus. War aber auch knapp. Aber das bedeutete, daß ich ohne Schuhe anreisen mußte. Dafür war ich ansonsten picobello ausgestattet. Trikots, Radhandschuhe (mit Netzgewebe, damit die Hände auch schön braun werden beim fahren, meine Frau hat sich schier weggeschmissen vor lachen :gaylord, Radlersocken and all that. Wers braucht.
In der Provence angekommen, war der Mt. Ventoux dann tatsächlich sichtbar. Krasses Teil. Hohes Teil. Felsiges Teil. Naja, erstmal ankommen, bissi die Gegend erlaufen. Am folgenden Tag reiste schließlich mein Wingman nebst Gattin an und die Vorbereitungen konnten losgehen.
Erstmal Equipment ergänzen. Schuhe kaufen. Hierfür fuhren wir nach Bedouin, einem der 3 Einstiege in den Berg. Hier merkt man, daß Frankreich Radsportnation ist. Man bewegt sich hier viel auf dem Rennrad, alle Altersklassen sind vertreten. Und alle haben eines gemeinsam: sie sind verdammt drahtig.
Erkenntnis 1: ich bin falsch hier
Ich war definitiv falsch zwischen all den bleistiftdürren Kerlen mit fetten Sehnen und Muskeln, glänzenden Extremitäten und offensichtlich tauglichem Equipment ohne Schnickschnack. Und mittendrin der fette Depp aus der Pfalz mit seinem neongrünen Rad und ohne Schuhe Okay, die Schuhe - lackschwarze, sündteure SIDI-Schuhe mit vielleicht 8 Gramm Gewicht - fanden sich rasch und paßten gut. Nix wie weg hier aus dem Moloch und heim, üben. Ach ja, Wasserflaschen kaufen. Brauch ich die wirklich?? Und hier, der Getränkehalter wiegt 20g weniger. Darf der deswegen 40 Euro mehr kosten?
Daheim dann die erste Tour. Und siehe da: das Rad lief sehr, sehr geil. Schnell und präzise, gut handlebar, die Schaltung pfeift wie der Maserati-Turbo bei 3000 U/min (UMIN! Kennt man ja noch ausm Quartett) und das Ding geht auch am Berg richtig gut. Ich merke nur, daß es bei den etwas steileren Anstiegen recht schnell ans Ende geht, was die Schaltung hergibt. Auf den üblichen Etappen gehts, aber wie das auf dem Berg wird? Mein Wingman ist skeptisch.
Der nächste Morgen soll es richten. Meine Einwände, daß der Pool doch so schön erfrischend, das Frühstück gleich fertig und überhaupt der Tag so schön ist, werden von meinem rigorosen Wingman und Einpeitscher vom Tisch gewischt. Heute gilts. Das Wetter ist perfekt, leicht bewölkt und etwa 33 Grad, der Mistral pfeift leicht.
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Equipment sitzt, Fahrrad läuft wie ein Uhrwerk. Los gehts. In Vriesis Boliden nehmen wir die 30 km nach Sault. Sault ist - die Kenner wissen es - der 3. Einstieg in den Berg und eher für Einsteiger geeignet. Die Anstiege sind nicht so extrem wie von Bedouin aus. Dafür ist die Strecke entsprechend lang. Ca. 30 km erstreckt sich der Aufstieg. Alle 3 Aufstiege treffen zusammen am Chalet Reynard, einer Einkehrbeize vor dem letzten Aufstieg. Diese letzten 6 km sind die übelsten, hier muß jeder hoch, durch Geröll, nichts als Geröll bei Steigungen bei 10% und mehr. Kein Schatten, kein Windschutz. Aber dazu später.
Jetzt erstmal raus aus Sault, einem malerischen Dörfchen am Fuß des Bergs, um diese Uhrzeit sind nur hartgesottene am Start, die Cafes machen erst langsam auf. es ist schön hier. Die Luft vom feinsten, der Wind angenehm, die Hitze stört nicht. Viele schöne Menschen am Start. Wir bauen unsere Räder zusammen, tauschen noch schnell einen Schlauch an Vriesis ziemlich beeindruckendem 7-kg Rad und machen uns langsam auf den Weg. Aus dem Ort raus ist noch alles gut. Die Landschaft bleibt malerisch, es geht vorbei an den allgegenwärtigen Lavendelfeldern und einladenden Gehöften. Es sind einige Radfahrer mit uns unterwegs, aber nicht viele. Und sie sind nicht schneller als wir. Das ist schon mal ermutigend.
Erkenntnis 2: Auf dem Berg stirbt jeder allein
Eigentlich ists egal, wie jemand aussieht, wie er gebaut ist, was für ein Rad er fährt und - zumindest in meiner Liga - wie schnell er ist. Es gibt in diesem Moment 2 Sorten von Menschen: die, die hochkommen und die, die nicht hochkommen. Mein Ziel ist es, da hochzukommen. Ich gehe es entsprechend entspannt an und ziehe mein Ding durch. Manchmal überholt mich einer, manchmal überhole ich einen oder eine - erstaunlich viele Frauen sind hier unterwegs - es ist egal. gewinnen kann ich hier eh nix. Mein Wingman gibt den Takt vor, zieht manchmal ab und ärgert einen der ganz ehrgeizigen und kommt dann zurück, um zu sehen, wo ich bleibe. Ich fahre konstant und eigentlich recht zügig, Atmung stimmt, Unterhaltung ist möglich, ab und zu was zu trinken. Die Sonne brennt bei 36 Grad, aber das macht nix. Diese Funktionskleidung ist echt ein Traum! Klar, man sieht scheiße aus, aber das vergißt man in 5 Minuten. Alle Stylevorgaben sind vorgessen, das Zeugs taugt einfach. Schräge Blicke et al. ernte ich nicht, zumindest bemerke ich sie nicht. Immerhin bin auch ich hier am Berg. Sag ich mir.
Die Sache geht freudig voran, die ersten 10 km fallen rasch, auch die kommenden 10 laufen gut. Zwischendrin mal eine etwas unsteilere Etappe, bei der ich mal vorne aus dem kleinen Ritzel rauskomme und Kette rechts geben kann. Ein berauschendes Gefühl! Nach gut 2 Stunden erreichen wir das Chalet Reynard. Das Basislager - und meine unbedingte Tagesetappe - war erreicht.