Ziele (Berlin-Halbmarathon, 1. Teil)
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am 10.04.2013 um 20:57 (7602 Hits)
Ziele. Irgendwie hat jeder welche. Dinge, die er erreichen möchte, erleben möchte, abhaken möchte. Das können materielle Dinge sein, auf die man spart und nach denen man sucht, das können Erlebnisse sein, die man sich so lange vor seinem geistigen Auge ausmalt, bis man bereit ist, sie in die Tat umzusetzen. Ziele sind was wunderbares.
Mein Ziel seit 2011 ist der Halbmarathon. 2011, an meinem 40. Geburtstag, begann ich, zu laufen. Aus der, an diesem Tag nach 200 entsetzlich erbärmlich zurückgelegten Metern erwachsenen Erkenntnis, daß es so nicht weitergehen kann, erwuchs die vage Idee, hier mal ein paar Grenzen auszuloten.
Der Weg dorthin wurde in meinem Blögchen hier ausgiebig ausgeleuchtet. Aus Laufen wurde Triathlon, aus dem Triathlon wurde der QDDS, dem QDDS entsprangen viele hart trainierende Foris. Einer davon bin ich und ein Ziel habe ich am 7. 4. 2013 erreicht.
Eigentlich ist der Halbmarathon nicht das Hauptziel gewesen. Es gibt kein Ziel in dem Sinne. Sicherlich sind irgendwo im Hintergrund Begriffe wie Marathon oder Iron-Man erkennbar, aber das sind ja erstmal abstrakte Worthülsen, die man erst mit Leben erfüllen kann, wenn man ein wenig in die Materie einsteigt. Erste Erfolge stellen sich schnell ein. Die ersten 1000 Meter, die ersten 5000 Meter, der erste offizielle Lauf, das erste mal eine Stunde durchgehend gelaufen. Die ersten Hürden nimmt man erstaunlich schnell, die Erfolgserlebnisse prasseln auf den unerfahrenen Noob in einer Frequenz ein, die einen schwindlig werden läßt. Es wächst die Erkenntnis: da geht was. Und ein Marathon, der eben noch als übermenschliche Leistung in der ferne glüht, ist auf einmal nur noch das 4-fache des samstäglichen Trainings.
Vor dem Marathon steht der Halbmarathon. 21.1 km. Das ist schon was. Für den erfahrenen Läufer eine knackige Distanz, für den Anfänger eine Ewigkeit. Es sollte nicht irgendein Halbmarathon sein, es sollte für mich der Berliner Halbmarathon sein. Ich liebe die Stadt, dort sitzen meine Forenvorbilder und -mentoren, was das Laufen angeht, wo, wenn nicht dort und - so meine Entscheidung 2012 - wann, wenn nicht 2013?
Das Training bis dort hin habe ich professionell angegangen mit einem Trainer. Ich bin Anhänger des Expertenwesens. Wenn mein Auto kaputt ist, geh ich zum Mechaniker, meine Schuhe besohlt der Schuster, mein Steak schneidet ein Metzger und wenn es um Sport geht, frage ich den Profi. "Mein" Trainer, seines Zeichens Sportlehrer und Ironman-Teilnehmer, trainiert mich seit nunmehr 6 Monaten dreimal pro Woche in den Disziplinen Schwimmen und Laufen, erstellt mir seit 2 Monaten wöchentliche Trainingspläne, zeigt mir im Winter, wie man Langlauf betreibt und bremst mich, wenn ich den klassischen Anfängerfehler begehe, zuviel auf einmal zu wollen. Guter Mann.
Professionellen Input hab ich mir auch hier geholt. Hier sind so viele gute Leute am Start, die fundiert und interessiert auf meine Fragen eingehen und so diskret meine Ambitionen belächeln, daß ich nicht ständig das Gefühl haben muß, mich zum Deppen zu machen.
Tag X, der 4.7. rückt näher. Noch 3 Wochen. Das Pensum zieht an, die Trainingsbelastung wird höher. Das Befindlichkeitsroulette rotiert. Ist das ein Schmerzchen da im Fuß? Wird sich das auswachsen zu einer Lähmung? Das Knie, nur ein leichtes Ziepen oder ist schon alles zu spät? Nur eine Verspannung oder werde ich niemals wieder Klavier spielen können? :kreisch:
Alle um mich rum werden krank. Grippe, Erkältung, kennt man ja. Nur ich nicht. Liegts am Training? Morgens bei minus X Grad raus in hauchdünner und sündteurer Funktionswäsche - seit einem Jahr geb ich nur noch Geld für Sportklamotten und Equipment aus, mehrere Subs stecken in Trikotagen, Rädern, Wärmekleidung, trainerstunden und Reisen - härtet doch vielleicht mehr ab, als man denken mag. Alles gut so weit.
Dann das große Wochenende. Ich will ehrlich sein: ich hab Angst. Naja, Angst vielleicht nicht, aber sowas wie Lampenfieber. Starkes Lampenfieber. Ein Gefühll,das ich nicht mehr kenne. Ich bin jetzt 42, alle Bühnen, die ich momentan so bespiele, bespiele ich souverän, weil ich das alles kenne. Meine Läden, meine Kunden, meine Familie, läuft alles. Stegreifreden vor 1000 Leuten halten - wo ist das Mikro? Mit Potentaten um 6-stellige Klunker schachern - been there, done that. Aber dieser Scheiß Lauf, diese Distanz, die ich jetzt doch auch schon viele Male gelaufen bin, der besorgts mir mehr als mir lieb ist.
Nach Berlin reise ich allein, meine Familie kann nicht mit. Schule. Auch gut. Ich beziehe mein Quartier allein und zieh mir die Stadt an. Die muß ja passen. Geh mit meinen Leuten essen und nerve sie zum wiederholten mal mit meinem blöden Lauf am Sonntag. Sie tragens mit stoischem Langmut. Gute Leute.
Samstag dann der erste Kontakt. Tempelhof.
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Im alten - und wirklich sehr beeindruckenden - Flughafen Tempelhof müssen alle Läufer ihre Startnummern abholen. Das kleine verlorene Häufchen auf dem Bild trügt, hier spielen die überirdischen Dimensionen des Hangargebäudes einen Streich, die 3 Hallen der Anmeldung und der geschickt platzierten Vitalmesse sind randvoll mit Menschen. 30.000 Teilnehmer haben sich zur Teilnahme angemeldet. In meinem Ort wohnen grad mal 1000 Leute... The place is packed, Menschen aus aller Herren Länder treffen sich hier, um ihre Startnummern abzuholen und um sich nochmal mit Merchandise und Equipment einzudecken. Es sind wirklich alle da - vom offensichtlich perfekt muskulierten geschmeidigen Läufer zur adipösen Mittfünfzigerin, für die es offensichtlich doch passende Legings gab, vom Knirps bis zum hochbetagten Rentner. Markenfetischisten und Asketen, Hipster und Hippies, Angeber und Leisetreter. Und mittendrin ich, der Mann mit der Nummer 20198.
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Der Ablauf: perfekt. Wir veranstalten ja selbst hin und wieder mal nen Event, daher sieht mein geübtes Auge, wie gut die Besucherströme geführt werden, wie routiniert und entspannt alle Helfer und Mitarbeiter sind, wie durchdacht und professionell das System ist. Immens viele Leute stehen an den entscheidenden Stellen, führen und leiten, beantworten Fragen, stellen Startnummern aus, teilen Unterlagen zu, geben Mika-Chips aus und leiten den unerfahrenen Teilnehmer durch die Prozedur, die in 2 Minuten abgeschlossen ist.
Länger dauerts am heillos überforderten BMW-Stand, der als Werbemaßnahme die mitgebrachten T-Shirts der Läufer mit Nummern bedruckt. Hier verliere ich eine Stunde, aber es gibt - wie praktisch, die hat mir mein Trainer am Wettkampftag empfohlen - überall kohlenhydratreiche Snacks zu kaufen. Nudeln, Reis, Kaiserschmarrn. Als rein damit. Der Tag endet früh, ich bin müde.
Sonntag dann. Der Tag. Um 7 wollte ich aufstehen, um 5 bin ich wach. Noch bissi stretching und Lauf-ABC. Für den Fall, daß die 21 km nicht langen, warm zu werden, Gott bewahre! Der Weg in die Stadt wird heute anders, die Stadt ist komplett gesperrt, also ÖPNV nehmen. Ich hasse ÖPNV, aber in Berlin ist das schon alles recht cool. Also mit dem Auto zum nächsten U-Bahnhof und da die U 8 von Friedenau - mein Quartier befindet sich ja im legendären Märkischen Viertel, der Heimat von Sido - nach Alexanderplatz.
Die U-Bahn ist um diese Zeit natürlich nicht so voll wie sonst. Aber eben auch nicht leer. Und man erkennt sie sofort, die Leute mit dem Chip am Schuh, mit der SSC-Tüte in der Hand. Alle merkwürdig wach und alert, immerhin ist es Sonntag morgens um 8. Und alle haben das selbe Ziel.
Raus aus dem U-Bahnhof. Und was ist das??
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Sonne! Die Sonne scheint! Nicht ein einziges Wölkchen am Himmel! Nachdem es die vorherigen Tage immer eklig bis wolkig war, zeigt sich heute der Himmel in feinstem blau. Sicherlich, es ist saukalt, am Morgen mußte ich noch Eis kratzen, aber man merkt: der Planet bollert, in der Sonne ist es schon fast angenehm.
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Es ist mittlerweile 9 Uhr, der Platz füllt sich. Die Orga ist wirklich perfekt, das Areal auch. Es ist extrem weitläufig und geradlinig, man kann sich nicht verlaufen und weiß sofort, wo man hinmuß. Da sind die Toiletten, dort sind die Lastwagen, in denen man seine Garderobe verstauen kann - insgesamt sicherlich 3 Dutzend davon, fein säuberlich aufgereiht. Hunderte von Helfern überall, zeigen einem den Weg, nehmen einem die Garderobe ab, verteilen Schutz"hemden" aus Plastiktüten und geben Getränke und Snacks aus. Ich mach noch ein leichtes Stretching, geb meine Garderobe ab und finde mich in meinem hauchdünnen und doch merklich zu kalten Laufdress wieder. Alle Anfängerfehler gemacht: zu wenig Garderobe mitgenommen, zuhause liegt meine perfekte lange Laufhose, ich Depp hab natürlich nur die Kurze mitgebracht. Das neue Laufhemd hat zwar lange Ärmel, aber einen sehr weit geschnittenen Kragen, mich friert am Hals. Und wie man sieht: alle haben Opferjacken mit, die sie nach den ersten paar 100 Metern einfach in die Botanik werfen. Das heißt: fast alle
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Andererseits: der Pfälzer Winter hat mich gestählt, ich bin heuer schon bei -14 Grad gelaufen. 3 Grad Plus? Byatch pleeaze. Das krieg ich jetzt auch noch rum.