Ziele (Berlin-Halbmarathon, Teil 3)
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am 10.04.2013 um 21:10 (7608 Hits)
Die Wasserstationen sind cool. Perfekt organisiert, obwohl tausende von Läufern ihr Wasser abholen, gibt es keinerlei Engpässe. Alle entspannt, alle freundlich, alle routiniert und jeder kriegt.
Der Platz drumrum sieht natürlich aus wie Sau. Klar, man läßt seinen Becher einfach fallen, tausende davon liegen in den kommenden Metern auf der Straße, der Krach, der beim Synchronzertreten der Becher entsteht, ist infernalisch und er mischt sich mit dem des Publikums. Gerade an neuralgischen Punkten wie Sehenswürdigkeiten oderWasserstationen sammeln die sich und veranstalten ihren Zauber. Musikgruppen, Percussioncombos, Bands - alles da. Und alle gut. Die Zuschauer jubeln und halten Schilder hoch. Gegrüßt wird eignetlich jeder - und das ist ziemlich witzig. Auf den Nummernschildern stehen ja die Namen der Läufer und auf einmal läufst du an Menschen vorbei, die deinen Namen schreien. Talking about hybris. Man klatscht die dargebotenen ausgestreckten Hände ab und gibt alles.
Ah, da ist Nico und Rosa. Das freut mich. Nico läuft ein Stück mit und muntert mich auf, dann ist er wieder im Gedränge verschwunden. ich wollt jetzt nicht mit ihm tauschen.
Kilometer 10 fällt, die Hälfte ist quasi geschafft. Die Hälfte ist immer so ein neuralgischer Punkt für mich, jetzt kann man doch ganz gut absehen, daß man das Ding packen kann. Die Sonne brennt heißer, es ist auf jeden Fall definitiv nicht mehr zu kalt. Rhythmus stimmt immer noch, Atemfrequenz auch, tempo ist gemächlich, aber konstant, ich saug das jetzt grad alles auf hier.
Alle Kilometer kommt ein Schild mit der Statusanzeige, wieviele Kilometer man schon hat. Ab km 12 merke ich, daß ich angestrengt bin. Der Lauf ist cool, aber nervenaufreibend, man muß höllisch achtgeben auf die anderen Läufer, die einem ständig zwischen den Füßen umherspringen. Manche sind schneller, manche sind langsamer, es ist ein ständiges checken und reagieren. KM 13 kommt, KM 14 auch.
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Es geht den Ku'Damm entlang, die Crowd ändert sich, wird bissi arrivierter und reservierter, aber immer noch alles sehr cheerful und gut gelaunt. Die Bands werden professioneller, manche Cafes veranstalten richtig kleine Konzerte mit professioneller PA und all dem. Nehm ich gern mit, aber die Amateurbands sind besser, die geben alles. Bei KM 14 das dritte Gelpack, dringend benötigt, ich werd ein wenig müde.
Ich bin aber nicht der einzige, dem es so geht, langsam trennt sich auch in unserem Block die Spreu vom Weizen. Ich überhole immer mehr Gehende und Ruhende. Wurde ich auf den ersten Kilometern noch öfter mal überholt, reduziert sich langsam der Druck von hinten und ich muß meinerseits drauf achten, niemanden über den Haufen zu laufen. Auch im Opferblock gibt es eben besser und schlechter trainierte und ich stelle fest, daß ich ganz gut unterwegs bin. Auch wenns langsam echt bissi weh tut, auf jeden Fall könnte ich schwören, daß die Distanz zwsichen KM 15 und 16 dreimal länger war als die zwischen KM 2 und 3.
Und auch, wenn ich eher langsam bin, laufe ich konstant wie ein Uhrwerk. 3 Schritte - einatmen, 3 Schritte - ausatmen. Körperhaltung und -spannung stimmt auch, was ich daran merke, daß ich keine übermäßigen Schmerzen habe. Blick nach vorne, weiter gehts.
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Ich erkenne Läufer wieder, die mich auf den ersten Kilometern stramm überholt haben und die jetzt komplett entkräftet sind. Tjo, was soll man sagen?
Havarierte gibts auch, immer wieder liegt einer oder eine völlig entkräftet auf dem Seitenstreifen. Ein Läufer wird den Halbmarathon nicht überleben, wie wir später aus den Medien erfahren.
Km 17, die letzte Wasserstation. Ich nehme das dargebotene Wasser dankbar an, um mein Tropical-Fruitgel runterzuwaschen und mache mich auf die letzten 4 Kilometer. Nee, das ist jetzt kein Spaß mehr. Sicherlich, die Kulisse ist nachwievor cool, die Leute spitze, es macht Spaß, zu merken, wie man im eigenen Umfeld langsam zu den besseren aufsteigt und wie sich das Training der letzten Wochen bemerkbar macht. Immer wieder rufe ich mir meine Trainingsläufe ab, die zahllosen Runden durch den Wald. Immer rechne ich die Strecke in Runden um. Meine Hausstrecke, mit der alles angefangen hat, mißt 1,7 km. Diese 12x und der Halbmarathon ist rum. Mehrfach gelaufen, die hab ich drauf. Und jetzt sind nur noch 2 Runden zu laufen. Ich zähle Schritte. 170 Schritte sind 10 Prozent. Irgendwann fällt Runde 11. Eigentlich tut grad alles weh, eigentlich ist das scheißegal.
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Dieses Schild weckt mich dann auf. Halloo, km 20, das Ding ist quasi rum. Ich stelle fest, daß noch Druck aufm Kessel ist und beginne, schneller zu laufen. Atemfrequenz ändert sich von 3 Schritten auf 2 Schritte. Schritte werden größer, Frequenz höher. Sicherlich, hier hinten läuft der Bodensatz, aber jetzt grad ist um mich rum niemand schneller als ich. Letzte Kurve, auf der Zielgeraden nochmal alles geben, hier dreh ich nochmal richtig auf. Ein Schritt pro Atemzug, ballerballerballer. Ziel! Drüber! Hechelhechel! Blitz!
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Flatline. Die Messe ist gelesen, die Beere ist geschält, das Ding ist rum. Kopf ist hellwach, Körper zertrümmert. Kopf könnte weitermachen, der Rest nicht. geschunden und geprügelt, 21.000 Schritte, Vollidiot.
Sofort schaltet man um, die Maschinerie hat einen wieder. Eben noch umjubelter weißer Kenianer, jetzt Teil einer perfekt geschmierten Maschinerie. Der Zieleinlauf verengt sich. Wir werden vorbeigeführt an Tausenden Helfern und Helferinnen. Alle lächeln, alle gratulieren, so süß. Man drückt mir eine Banane in die Hand, einen Eistee, eine Medaille, ein Kunststoffcape.
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Das Cape lehne ich ab, den rest nehme ich dankbar und ruhig an, trotte mit meinen völlig erledigten Mitstreitern weiter wie Vieh zur Fütterung. Erste Anrufe, erste Statusmeldungen, jeder ist online, ich auch. Soo geil, Feedback aus der ganzen Welt. Ich bin grad echt sehr glücklich.
Ulrich ist natürlich schon im Ziel und auf dem Weg nach Hause. Hätte mich doch gewundert, wenn ich meinen Mentor gleich auf dem ersten Lauf geschlagen hätte. Auch wenn wir beide wissen, daß das beim zweiten Lauf unweigerlich der Fall sein wird, der Schüler wird zum Lehrer, der Sklave wird zum Gott! nee, das ist mir völlig egal, die Zeit interessiert mich nur am Rande. Ich wollte unter 7 im Schnitt bleiben und das ist mir knapp gelungen. Naja, eigentlich wollte ich nur konstant laufend ankommen, aber das ist mir voll gelungen. Kurze Überlegungen in Richtung: "mensch, ab km 12 hättest du mehr" und "die ersten 10 km waren ja wohl eher" tue ich rasch als postpubertäres Protzgehabe ab und verschiebe es auf die kommenden Lauftrainingseinheiten.
Jetzt hole ich erstmal meine Habseligkeiten im Garderobenwagen ab und stelle fest, daß ich bestohlen wurde. Großstadt halt. Irgendjemand hat meine Barschaft iHv 10,- mitgehen lassen, was für mich bedeutet, daß ich zum einen jetzt nix zu essen kaufen kann und zum anderen schwarz fahren muß, um zum Auto zu gelangen. Was Sido wohl in diesem Moment getan hätte? Naja, ich finde noch einen Müsliriegel in der Tüte und greif mir noch ein paar alkfreie Weizen auf dem nun fast menschenleeren Platz ab - wo sind die alle hin?? - auf dem Weg zur Medaillengravur. Nachdem auch das blitzschnell, freundlich und entspannt erledigt wird, mach ich mich auf den Heimweg.
Naja, das klingt jetzt beschwingter, als es wirklich war. Der Tag fordert seinen Tribut. Meine Beine tun mir weh. Nicht so ein bißchen, jeder Schritt schmerzt. Besonders schlimm ists auf der treppe zur U-Bahn, das Geländer brauch ich jetzt dringend. Muß aber warten, weil sich vor mir einige vergleichbar Lädierte langsam und stöhnend zum Bahnsteig runterhangeln. Wir sehen die U-Bahn einlaufen, die Türen öffnen sich, schließen sich wieder und das Ding fährt weg. Und keiner von uns war in der Lage, die 10 Stufen schnell mal runterzuhechten, um das Ding zu bekommen. Opferblock halt.
InWittenau angekommen, bewege ich mich langsam und bedächtig zu meinem Auto, fahr nach Hause, laß mir ne Wanne ein, arbeite mich unter Schmerzen in die Wanne und sehe, höre und sage garnix. Und abends Schnitzel mit den Jungs. Heldenschnitzel.
Niemals werde ich in der Lage sein, einen Marathon zu laufen. Niemals. Angemeldet bin ich für 2014.